
Aktuelles Wissen zur Alopecia areata
Diese Seite dient als Informationsportal für Betroffene und Interessierte, für Patienten und Ärzte.
Hier erhalten Sie die wichtigsten Informationen zur Alopecia areata.
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Was ist die Alopecia areata?
Die Alopecia areata (AA) ist eine chronische, immunvermittelte Krankheit, die durch einen akut einsetzenden Haarausfall gegenzeichnet ist. Der Haarausfall kann von kleinen, umschriebenen haarlosen Arealen auf der Kopfhaut bis zum vollständigen Verlust der Kopf- und Körperhaare reichen.
Häufigkeit
- Die Alopecia areata ist nach dem anlagenbedingten Haarausfall die zweithäufigste Ursache für Haarausfall
- Die Wahrscheinlichkeit, mindestens einmal im Leben an einer AA zu erkranken, beträgt 2 % (Lebenszeitinzidenz)
- Der häufigste Typ ist die umschriebene Alopecia areata. Seltener auftretende Typen sind Ophiasis –Typ, Alopecia totalis und Alopecia universalis, mit Prävalenzen von 0,02%, 0,08% und 0,03%
- Die AA betrifft die Geschlechter gleichermaßen und tritt in allen Altersgruppen und ethnischen Gruppen auf
- Bei 40 % der Patienten tritt die AA das erste Mal vor dem 20. Lebensjahr auf – bei ca. 85% zeigt sich die AA bis zum 40. Lebensjahr
Ursachen von Alopecia areata


Wie ist ein Haarfollikel aufgebaut?
Der Haarfollikel ist ein einzigartiges Mini-Organ, das einen kontinuierlichen, lebenslangen zyklischen Regenerationsprozess durchläuft. Der untere Teil des wachsenden (anagenen) Haarfollikels (Wulstregion und Haarzwiebel) genießt ein relatives Immunprivileg, das den Haarfollikel vor Entzündungsprozessen schützt und die Immuntoleranz fördert. Dadurch ist der gesunde Haarfollikel vor einem Angriff durch die körpereigene Immunabwehr geschützt.
Wie entsteht die AA?
- Die genaue Ursache der AA ist noch nicht vollständig geklärt, doch ist es allgemein anerkannt, dass der Kollaps des Immunprivilegs des Haarfollikels eine entscheidende Rolle in der Entstehung der Krankheit spielt
- Der Entzündungsprozess der Erkrankung wird über das Einwandern von Immunzellen in und um den Haarfollikel vermittelt. Dadurch kommt es zu einem Bienenschwarm-ähnlichen Infiltrat (siehe Bild). Daran sind Lymphozyten wie T-Zellen und NK-Zellen sowie Mastzellen und dendritische Zellen beteiligt
- Die Entzündungsreaktion ist auch über Botenstoffe (Zytokine) vermittelt. Entscheidende Zytokine bei AA sind Interferon-γ-, Interleukin-2- und Interleukin-15
- Das Aufflammen einer AA führt zu einer deutlich verkürzten Anagen (Wachstums)-Phase des Haarwachstumszyklus
- Es wird vermutet, dass auch genetische Faktoren einen Einfluss haben. Hierfür spricht das häufigere Auffinden von bestimmten Gensequenzen einiger Immungene für Strukturen, die am Entstehungsprozess der AA beteiligt sind, bei Personen mit AA
(1) Blume-Peytavi U, Vogt A.: Current standards in the diagnostics and therapy of hair diseases - hair consultation. J Dtsch Dermatol Ges. 2011;9(5):394-410; quiz 1-2.
Die Alopecia areata zeigt ein sehr breites klinisches Bild. Der Haarverlust kann alle behaarten Bereiche des Kopfes und Körpers betreffen. Kopfhaut, Wimpern, Augenbrauen, Bart, Scham- oder Achselhaar, Behaarung des Stamms und der Extremitäten, sowie Nägel können betroffen sein.
Klinische Varianten
Klinische Varianten der Alopecia areata |
Präsentation |
Umschriebene Alopecia areata/ Alopecia areata circumscripta |
einzelne oder mehrere umschriebene, gut abgegrenzte, haarlose Areale auf der Kopfhaut |
Alopecia totalis |
vollständiger Haarverlust im Bereich der Kopfhaut |
Alopecia universalis |
vollständiger Haarverlust auf dem Kopf, im Gesicht und am Körper |
Alopecia areata Ophiasis Typ |
bandförmiger Haarverlust am Hinterkopf |
Alopecia areata mit inverser Ophiasis (oder Sisaipho) |
Haarverlust im Oberkopfbereich, seitliche und hintere Kopfhautpartien sind nicht betroffen |
Diffuse Alopecia areata / Alopecia areata incognita |
diffuser Haarverlust und Haardichteminderung |
Alopecia barbae |
diskreter kreisförmiger oder umschriebener Haarverlust im Bartbereich, oft entlang der Kieferlinie, selten diffuse Ausdünnung |
Alopecia areata der Nägel |
Tüpfelnägel, Trachyonychie (raue Nägel), Längsrillen |
Diagnose



Klinische Untersuchung
Untersuchung der Haare am Kopf, im Gesicht und am Körper sowie der Nägel. Bei einer Alopecia areata zeigen sich hier in meisten Fällen die typischen kreisrunden haarlosen Areale an der Kopfhaut. Sie kann sich aber auch durch teilweisen oder kompletten Verlust der Augenbrauen, Wimpern oder Barthaare, oder auch an anderen behaarten Arealen zeigen (siehe auch klinische Varianten). Die Hautoberfläche ist unauffällig, also z.B. keine Rötungen, Entzündungszeichen oder Narben.
Dermatoskopie
Die Untersuchung der Haut und Haarfollikel mittels Hautoberflächenmikroskopie. Die klinische Untersuchung gemeinsam mit der Dermatoskopie der Kopfhaut sind die wichtigsten Schritte und, in meisten Fällen, ausreichend um die Diagnose Alopecia areata zu stellen. Die häufigste dermatoskopishen Befunde sind, neben einer gesund erscheinenden Kopfhaut, die „black dots“, die "yellow dots“ und kurze, abgebrochene Haare.
Haarzupftest
Sehr hilfreicher Test zur Einschätzung der Aktivität der Alopecia areata, aber auch zum Ausschluss anderer Haarerkrankungen, so wie der Trichotillomanie. Der Test wird am Randbereich der haarlosen Areale sowie an klinisch unauffälligen Haaren durchgeführt. Hierbei wird ein dickes Haarbüschel (ca. 20-50 Haare) zwischen Daumen, Zeige- und Mittelfinger am Haaransatz nahe der Kopfhaut fest gefasst, und dann fest, aber nicht gewaltsam von der Kopfhaut weggezogen. Wenn mehr als 10 % der erfassten Haare zwischen den Fingern am Ende verbleiben, gilt dies als positiver Zupftest und deutet auf aktiven Haarausfall hin. Für einen gültigen Test sollten die Haare mindestens einen Tag lang nicht gewaschen werden. Zeigt sich dieser Test positiv auch an klinisch unauffälligen noch vorhandenen Haaren, weist dies auf eine aktive Alopecia areata mit diffuser Komponente hin.
Biopsie
Die Entnahme einer Hautprobe aus der Kopfhaut ist empfohlen, wenn eine sichere Diagnosestellung einer Alopecia areata durch klinische Untersuchung, Dermatoskopie, Zupftest nicht möglich ist, oder bei einzelnen haarlosen Arealen, die auf jegliche Therapie nicht ansprechen.
Einstufung der Alopecia areata
Das „Severity of Alopecia Tool’’ oder der sog. SALT Score ist ein sehr hilfreiches, visuelles Mittel zur Bestimmung des prozentualen Kopfhaarausfalls bei Alopecia areata. Die Kopfhaut wird in vier Quadranten geteilt, der Haarausfall wird separat in jedem Quadranten in Prozenten berechnet, alle 4 Quadranten zusammenaddiert, um dann den gesamten prozentualen Kopfhauthaarausfall zu ermitteln.
Sehr wichtig zur:
- Bestimmung des Schweregrads der Alopecia areata
- Entscheidung über die geeignete Therapie
- Vergleichbarkeit vor, unter und nach eingeleiteter Therapie
- Verlaufsbeurteilung der Erkrankung (Prognose)
Welche Erkrankungen treten oft zusammen mit der Alpoecia areata auf?
Die AA kann zusammen mit verschiedenen anderen Erkrankungen und Zuständen auftreten.
- Autoimmunerkrankungen, z.B. Unterfunktion der Schilddrüse und Vitiligo (Weißfleckenkrankheit)
- atopische Erkrankungen einschließlich Neurodermitis und Heuschnupfen
- Vitamin D- Mangel
- Down-Syndrom
- psychiatrische Erkrankungen: Depression und Angststörung
Wie verläuft eine Alopecia areata und ist sie heilbar?

Die Alopecia areata ist eine Erkrankung mit einem stark variablen Verlauf. Einmaliges Auftreten, lange freie Intervalle und immer wieder neues Auftreten einzelner oder mehrerer Herde können sich abwechseln. Jahrelange keine neuen Herde und Remissionen über mehrere Jahre können ebenso auftreten. Studiendaten zeigen, dass die aktuell verfügbaren Therapien den langfristigen Verlauf der Erkrankung nicht beeinflussen.
Faktoren, die mit einer schlechten Prognose assoziiert sind, sind
- ein Auftreten im jungen Alter
- ein ausgeprägter Haarverlust wie z.B. bei Alopecia totalis oder Alopecia universalis
- das Auftreten des Ophiasis-Typs
- eine Nagelbeteiligung
- die Koexistenz von assoziierten Erkrankungen
- das Nichtansprechen auf die Behandlung.
Dementsprechend sind prognostisch günstige Faktoren
- das Auftreten im Erwachsenenalter
- das Fehlen von assoziierten Begleiterkrankungen
- negative Familienanamnese
- gutes Nachwachsen im Randbereich
Emotionale Belastung
Aufgrund der hohen Sichtbarkeit, des unvorhersehbaren klinischen Verlaufs der Erkrankung und des derzeitigen Mangels anhaltend erfolgreicher Therapien ist die AA für viele Betroffene eine große emotionale Belastung. Auch wenn die Krankheit in jedem Alter eine Herausforderung sein kann, sind Kinder und Jugendliche besonders anfällig für ein hohes Maß psychischer Belastung ebenso wie für Mobbing durch und soziale Isolation von Gleichaltrigen. Daher sollte bei der Therapie auch auf die psychischen Auswirkungen des Haarverlusts eingegangen werden, um die Bewältigung und Anpassung an dieses Problem zu ermöglichen und realistische langfristige Erwartungen zu entwickeln.
Therapiemöglichkeiten
Das therapeutische Vorgehen ist bei jedem Patienten unterschiedlich und abhängig von individuellen Faktoren wie der Ausprägung der Erkrankung und Nebenerkrankungen. Bitte beachten Sie, dass die Informationen auf dieser Seite keine Beratung bei einem Arzt ersetzen. Wir bitten Sie, sich an Ihren behandelnden Arzt oder Ärztin zu wenden, um die passende Therapie für Sie zu finden.
Die derzeitig eingesetzten Therapien zielen vor allem auf das Unterdrücken des Entzündungsprozesses ab und bekämpfen nicht die eigentliche Ursache der Krankheit. Das Ergebnis der Therapie ist leider oft unbefriedigend und es treten insbesondere in schweren Fällen häufig Rückfälle auf. Im Jahr 2019 hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die Kortikosteroide Betamethasonacetat und Triamcinolon bei der Behandlung der AA als Lifestyle-Arzneimittel eingestuft, sodass sie in Deutschland nicht mehr zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden dürfen.
Kortikosteroide
Topisch (Anwendung lokal auf der Haut):
Hierbei wird ein stark bis sehr stark wirksames Kortikosteroid (Klasse III/IV) im Bereich der Haarausfallherde an der Kopfhaut angewendet. Zu den möglichen Nebenwirkungen gehören Follikulitis (Entzündung der Haarfollikel) sowie Hautatrophie (nur nach langfristiger Anwendung), die in meisten Fällen rückgängig ist.
Therapie der ersten Wahl bei:
- leichter bis mittelschwerer AA
- Kinder <12 Jahre
- als Zusatztherapie bei schwerer AA
Unterspritzung unter die Haut:
Hier wird mit einer dünnen Nadel eine bestimmte Menge eines Kortisonpräparates (Triamcinolonacetonid Kristallsuspension) in die Kopfhaut eingespritzt. Die Unterspritzung erfolgt in der Hautebene (intrakutan), nicht ins Unterhautgewebe. Während jeder Sitzung erfolgen mehrere Injektionen an den Rand der Haarausfallsbereiche. Die Dauer der Behandlung wird abhängig von Wirksamkeit und Verträglichkeit vom behandelnden Arzt nach Rücksprache mit dem Patienten festgelegt. In der Regel erfolgen ca. 3-5 Unterspritzungen alle 4-8 Wochen. Bei gutem Ansprechen und Verträglichkeit können weitere Sitzungen erfolgen. Zu den möglichen Nebenwirkungen gehören Schmerzen während der Unterspritzung sowie Hautatrophie, diese ist aber in den meisten Fällen reversibel.
Therapie der ersten Wahl bei:
- leichter bis mittelschwerer AA
- allein oder in Kombination mit topischer Anwendung
Systemisch:
Die systemische Therapie mit Kortison erfolgt meistens in Form einer oralen Prednisolon-Stoßtherapie, d.h. tägliche ca. einwöchige orale Einnahme von Kortikosteroiden jeweils unterbrochen durch einnahmefreie Intervalle. Die gesamte Dauer der Therapie beträgt mindestens 3 Monate, diese soll jedoch vom behandelnden Arzt entsprechend des Ansprechens und des Auftretens von den Nebenwirkungen angepasst werden. Es ist wichtig, dass der Patient über die bekannten, möglichen Nebenwirkungen einer systemischen Kortison-Therapie von dem behandelnden Arzt aufgeklärt und überwacht wird. Eine langfristige Dauer-Therapie wird nicht empfohlen.
Therapie der ersten Wahl bei:
- mittelschwerer bis schwerer AA bei Erwachsenen
- allein oder in Kombination mit topischer Kortison-Anwendung
Topische Reiz-Therapie mit Dithranol
Diese Option ist aufgrund ihres günstigeren Risikoprofils eine Alternative zur Sensibilisierungstherapie, besonders bei Kindern. Hier wird eine Dithranol-haltige Salbe (0,5%- 2%) läsional, einmal täglich, mit einer im Verlauf graduell aufsteigenden Dauer, an der Kopfhaut angewendet.
Der Wirkmechanismus ist derzeit unklar, es wird jedoch vermutet, dass die vom Dithranol verursachte leichte Reizung der Kopfhaut zu einer Umlenkung der Entzündungszellen führt und es damit zur Förderung des Nachwachsens der Haare kommt. Zu den Nebenwirkungen gehören starke Reizung an den Anwendungsstellen, sowie vorübergehende Verfärbungen der Haut und Haare. Bei Kontakt von Dithranol mit Kleidung oder Objekten kommt es zu einer bleibenden Braunverfärbung an den Kontaktstellen.
Topische Sensibilisierungstherapie
Es handelt sich hierbei um eine off-label (nicht zugelassene) lokal anzuwendende Therapie mit Diciclopropyphenon (DCP) für die Behandlung einer ausgeprägten Alopecia areata, Alopecia totalis und Alopecia universalis, die vorwiegend an Universitätskliniken durchgeführt wird. Laut der aktuellen Datenlage schwankt das Ansprechen dieser Therapie stark (4-85%). Zu den Nebenwirkungen gehören ausgeprägte Ekzemreaktion, Pigmentierungsstörungen, und geschwollene Lymphknoten.
Im folgenden Video wird die Art der Anwendung dargestellt.
JAK Inhibitoren
Die Januskinase (JAK) Inhibitoren sind für die Behandlung der AA nicht zugelassen, werden aber aktuell in klinischen Studien untersucht. Die ersten Studienberichte und Veröffentlichungen sind sehr ermutigend bei der Behandlung der ausgeprägter Alopecia areata, Alopecia totalis und Alopecia universalis. Weitere Ergebnisse von laufenden Studien sind abzuwarten, es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass diese Medikamente eine vielversprechende neue Option für die schweren Fälle der AA darstellen.
Zu den aktuell für andere Erkrankungen wie z.B. die Neurodermitis und die Schuppenflechte zugelassenen JAK Inhibitoren gehören Tofacitinib, Ruxolitinib, Baricitinib, Upadacitinib und Abrocitinib. Für die AA ist bisher noch kein einziger JAK Inhibitor zugelassen.
Unterstützende Interventionen
- Minoxidil: Dies ist eine Substanz, die die Durchblutung um den Haarfollikel verbessert und so das Haarwachstum anregt. Der Wirkstoff hat keinen Einfluss auf die Entzündung, fördert jedoch das Haarwachstum, nachdem die Entzündung von der für die AA angesetzten Therapie (z.B. topische Kortikosteroide) unterdrückt wurde. Es könnte unterstützend beim Nachwachsen der Haare in den umschriebenen AA Herden eingesetzt werden.
- Zink Supplementierung: Zink hilft die Immunantwort zu modulieren, und könnte bei Zink-Mangel hilfreich sein. Aber die verfügbaren Daten sind noch widersprüchlich, und kommen von kleinen Studien und Fallberichten.
- Vitamin D Supplementierung: Die Einnahme bei entsprechendem Vitaminmangel könnte von Bedeutung sein. Eine positive Wirkung von Vitamin D auf eine bestehende AA hat sich jedoch bisher nicht beweisen lassen, sodass eine klare Empfehlung nicht ausgesprochen werden kann.